Digitale Demenz

Wenn es Manfred Spitzer nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Denn er hat alles richtig gemacht: Prägnanter Titel, ein Cover, was technoid und apokalyptisch zugleich ist, ein provozierender Untertitel.spitze-demenz Und: Er vertritt eine Position am Ende der Skala, die man getrost als Gegengewicht zu den zahllosen apodiktischen Statements zum Thema Medienkompetenz bezeichnen kann. Das funktioniert zunächst in soweit, als dass das Buch gute Chartplatzierungen erreicht.

Doch wie sieht’s drinnen aus? Einer der „bedeutendsten deutschen Gehirnforscher“ präsentiert nicht etwa eigene, neue Forschungsergebnisse. Nein, auf eigene Studien findet sich kein einziger Verweis. Stattdessen führt er ausgesprochen zahlreiche, meist internationale Studien als Belege an. Diese haben dabei nicht immer etwas mit dem eigentlichen Gegenstand von Spitzers Buch zu tun, manchmal passen sie nur im sehr übertragenen Sinne zum Thema.

Und: Qualitative Forschung ist nicht sein Ansatz. Spitzer liebt und zitiert ausschließlich statistische Aussagen, die zudem in teils unzulässig vereinfachenden Grafiken präsentiert werden. (Wie das richtig geht, lernt man im ersten Semester Sozialwissenschaft.) Sein genereller Duktus dabei ist: „Seht her, das wurde herausgefunden. Hier gibt es einen Zusammenhang. ALSO IST ES SO.“ Er zeigt dabei einen rein psychologisch-klinischen Blick, der Antworten in künstlichen Experimentieranordnungen finden will. Leben bzw. Gesellschaft ist aber komplexer als jedes Laborsetting, in dem die Probanden Knöpfchen drücken müssen und deren Reaktionszeit in Millisekunden gemessen wird. Von eventuellen Kausalitäten der „herausgefundenen“ Daten ganz zu schweigen.

(Wie auf qualitativem Wege, d.h. vom Verstehen einzelner, konkreter Zusammenhänge ausgehend, Ursachen für reale Gewalthandlungen beschrieben werden können, hat vor einiger Zeit Mark Ames in seiner Studie „Going Postal“ eindrucksvoll gezeigt.)

Polemik ist ja gut und schön, doch in Spitzer’s neuer Suada wird teilweise ein Penetranzniveau erreicht, wo man nur noch den Kopf schütteln kann.  Im Kapitel  „Wie es diesem Buch ergehen wird“ geht er beispielsweise diffamierend gegen eine Kritik seines Vorgängerbuches („Vorsicht, Bildschirm!“) vor. Ohne sich ihr inhaltlich anzunehmen, meint er durch die scheinbar entlarvende Tatsache, dass die Kritik aus Ministeriumskreisen stammt, sei alles gesagt („finanziert durch Steuergelder“(!)). In dieser Kritik wurde interessanterweise genau die Komplexität der Gesellschaft betont, mit der Spitzer so nichts am Hut haben will. Einfache Tatsachen, einfache Lösungen. Stattdessen nimmt er lieber „Kinder und Jugendliche“ in Geiselhaft, um die „verunsicherten Eltern“ (die er selber faktisch erst erzeugt hat) moralisch zu erpressen. Ein Schimpfen auf die Politik, die nichts tut, passt da prima ins Konzept und adressiert sicher die Zielgruppe des Buches.

Vollends zum küchenphilosophischen Lebensratgeber wird er am ganz am Ende: Unter der leninschen Überschrift „Was tun?“ gibt er praktische Tipps, wie man der drohenden digitalen Demenz entfliehen kann: „Singen sie, denn das ist gesund.“ Prima, mach‘ ich.

Ach ja, ansonsten: Gut, dass sich mal jemand so populärwissenschaftlich zum Thema Medien aus dem Fenster lehnt.

 

Spitzer, Manfred: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, Droemer, München 2012

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