BRD Noir

Seit Monaten lag das Buch nun herum, es wollte einfach nicht zu Ende gehen mit dem Lesen. Erst lange ganz liegen gelassen, dann irgendwann angefangen, im Sommerurlaub etwas kontinuierlicher, aber auch der hat nicht gereicht. Im Herbst dann wieder lange Pause, und nun, kurz vor Jahresschluss dann der Abschluss, unter dem Motto „was ich auch noch erledigen wollte“ …

Ja – dickes Buch, dicker Titel: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969“. Ich mein‘, wer nennt denn bitte so einen Roman? Vielleicht eine Doktorarbeit in Psychologie, aber doch kein Buch, was sich verkaufen möchte.

Na gut, Rote Armee Fraktion ist schon mal ein möglicher Catcher, aber so richtig zieht das wahrscheinlich auch nicht mehr. „Größenwahnsinnig“, sagt einer der Rezensenten, deren Meinung immer schon auf dem Buch aufgedruckt ist. Doch so größenwahnsinnig fand ich es am Ende gar nicht, wenn ich vom schieren Umfang von mehr als 800 Seiten mal absehe.

Die bereits deutlich im Titel markierte Grundidee, die Entstehung der Roten Armee Fraktion nicht politisch, nicht gesellschaftshistorisch aufgeklärt mit dem Wissen der später Geborenen zu erzählen, sondern sich in die Zeit mit Hilfe eines „manisch-depressiven Teenagers“ hineinzuversetzen, ist eine letztlich absolut glaubwürdige Idee. Denn Frank Witzel gelingt es mit diesem Kniff, eine unglaubliches Gruselkabinett des Alltags der frühen und mittleren BRD (West) zusammenzutragen, wo man nicht anders als der Meinung sein kann, da zum Glück nicht dabei gewesen zu sein.

In den mehrfach verschachtelten Erzählsträngen geht am Ende aber die Versprechung, der verquorene Hauptheld hätte irgendetwas Substantielles zur Entstehung der RAF beizutragen, mehr und mehr verloren. Während am Anfang noch detailverliebt kleinere Verbindungssequenzen installiert werden, deren Fort- und Zusammenführung man am Ende irgendwie erwartet, lösen sich diese Verbindungen eher wieder auf. Man ist durch mit dem Buch, bleibt aber irgendwie ratlos. Wenn das Adjektiv „größenwahnsinnig“ meint, dass geformte Pläne nicht verwirklicht werden, dann gilt das wohl für dieses Buch.

Dennoch ist es legitim, eine Herz für Phantastereien zu haben, die uns die alltäglichen Selbstverständlichkeiten in Frage stellen lassen. Und wenn Frank Witzel mit den Versprechungen des Buchtitel aus meiner Sicht gescheitert ist, so hat er doch ein in wahrsten Sinne unglaubliches Stück deutsche Sozialgeschichte geschrieben, die sicher auch irgendwie die seine ist.

 

Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969, 2015